Etwa jedes 5. Kind in Deutschland lebt in oder am Rande der Armut. Armut
bedeutet meistens beengte Wohnverhältnisse in benachteiligten Quartieren
mit schlechter Infrastruktur und unzureichenden Bildungsmöglichkeiten.
Häufig haben die meist arbeitslosen Eltern resigniert und vermitteln den
Kindern kein positives Rollenmodell. Die Grundstimmung ist lethargisch,
häufig bestehen auch Suchterkrankungen. Kinder werden in der wichtigen und
Weichen stellenden vorschulischen Entwicklungsphase nicht ausreichend
angeregt, wir Kinder- und Jugendärzte finden bei ihnen in einem hohen
Anteil eine nicht altersgerechte Entwicklung der Sprache und eine wenig
entwickelte allgemeinen Auffassungsgabe, aber auch unzureichend ausgeprägte
soziale Kompetenzen.Bild vergrößernVielfach sind die Kinder übergewichtig
und mangelhaft motorisch stimuliert. Kinder mit einer solchen mangelhaften
Entfaltung ihrer Grundfähigkeiten haben nur eine etwa 50%ige Chance, einen
Schulabschluss zu erhalten. Ihre spätere soziale Prognose ist schlecht. Die
Gesellschaft hat diese Kinder zwar zur Kenntnis, aber in ihrem
individuellen Leid und ihrer sozialen Tragweite noch nicht wahrgenommen.
Wir nenne sie deshalb die vergessenen Kinder.Dr. Wolfram Hartmann,
Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland,
fasst mit diesen Sätzen zusammen, worin er den Grund für ein notwendiges
Umdenken und eine Neukonzeptionierung der frühen kindlichen
Entwicklungsförderung sieht. Auf dem gegenwärtigen demographischen
Hintergrund können wir es uns eigentlich nicht erlauben, auch nur ein
einziges Kind unserer künftigen Generation nicht optimal zu fördern. Wir
wissen heute, dass jeder in die frühe Förderung von Kindern gesteckte Euro
mit einem späteren gesellschaftlichen Gewinn von 12 Euro rückvergütet wird.
Abgesehen vom individuellen Leid bedeutet aber jedes Kind, was ungefördert
im späteren Leben in das Netz der sozialen Hilfen fällt, nicht nur keinen
gesellschaftlichen Gewinn, sondern ausschließlich Kosten. Was wir also für
Kinder aus solcherart belasteten Familien benötigen, ist ein so früh wie
möglich einsetzendes System früher Hilfen, welches kompensatorisch die
elterlichen Defizite ausgleicht.Laut Hartmann beginnt dies bereits bei
Hilfen der noch schwangeren Mutter, bei der ein soziales Risiko erkannt
wurde, setzt sich fort über eine gute Begleitung und Anbindung an die
Geburtsklinik, setzt sich weiter fort über eine gute Hebammenbegleitung in
den ersten nachgeburtlichen Monaten und schließt selbstverständlich den
frühen Kontakt zum Kinder- und Jugendarzt ein.Wichtig bei den meist
bildungsfernen und in schwieriger sozialer Situation be-findlichen Familien
ist ein gutes Casemanagement, welches z.B. an den Kinder- und
Jugendgesundheitsdienstes im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)
angebunden sein sollte und in enger Abstimmung mit dem Jugendamt arbeitet.
Voraussetzung hierfür aber ist, dass der ÖGD entsprechend ausgebaut wird
und in den Ämtern ausgebildete Sozialpädagogen und nicht nur
Verwaltungsfachleute sitzen.Eine besondere Bedeutung kommt den
Kinderkrippen und Kindertagesstätten zu. Diesen Institutionen ist
insbesondere in den letzten 10-15 Jahren die gesellschaftlich wichtige
Aufgabe zugewachsen, die Kinder aus sozial schwächeren Lebenswelten in
ihren Grundfähigkeiten so auszubilden, dass sie eine gute Schul- und damit
Sozialprognose haben.In unserer Gesellschaft ist das Kriterium der sozialen
Gesundheit bei diesen Kindern im Sinne der guten sozialen Prognose zu
verstehen. Deshalb ist unsere Forderung nach niederschwellig erreichbaren
und gut qualifizierten Kinderkrippen und Kindertagesstätten insbesondere in
sozial problematischen Wohnumgebungen (soziale Brennpunkte) eine
Gesundheitsforderung, für die wir uns als Kinder- und Jugendärzte - und
nicht als Pädagogen zuständig fühlen. Die Kinder- und Jugendärzte hoffen,
dass diese komplexe Grundkonzeption früher Hilfen von der Schwangerschaft
bis hin zur Tagesbetreuung der Kinder gesellschaftlich Gehör findet.Am
02.03.2009 tagt in Berlin die Kinderkommission des Deutschen Bundestages im
Rahmen einer Anhörung zum Thema Neue Konzepte Früher Hilfen, auf der der
Präsident des BVKJ das Konzept vorträgt.Im Juni verleiht der Berufsverband
der Kinder- und Jugendärzte erstmals einen Medienpreis für die Sparten
Print, Funk und Fernsehen, der mit einer Dotierung von jeweils 5.000,- Euro
Beiträge zur Situation der vergessenen Kinder auszeichnet.
Friday, February 27, 2009
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